Wir schreiben das Jahr 1976. In einem dunklen kalten Hinterhof eines Altbaublocks sieht man Zigarettenspitzen glühen. Es riecht nach süßem Altherrenparfüm und im Vollmondlicht stehen Typen mit Schnauzbart in hautengen Leder- und Jeanshosen, aus denen ihre Erkennungstücher in verschiedenen Farben heraushängen. Hier trifft man(n) sich heimlich.

Das ist die schwule Szene Deutschlands in den 70er Jahren, denn Homosexualität ist verpönt und noch nicht akzeptiert. Weil es noch kein Internet gibt, muss man raus auf die Straße, in die „Schmuddelszene“, um sich kennenzulernen.

Allein zu Haus

Doch der Wandel ist im Gange, die Bits und Bytes sind auf dem Vormarsch und Anfang der 90er Jahre ist das Internet endlich da. Wir danken Tim Berners-Lee, dem Erfinder des WWW und den Herren Gates und Jobs für die tollen Computer, auf denen die Erstkontaktaufnahme nun endlich möglich ist, ohne dass man das Haus verlassen muss. Erst primitiv, dann immer besser, die Krönung heißt „Gayromeo“! Hier sitzen wir also vor dem PC, teils nackt, rauchen die Zigarette allein in unserem Zimmer und machen in den Profilen einen Seelenstriptease über unsere sexuellen Vorlieben. Die bunten Tücher von damals dienen nur noch als Heultuch, da wir nach endlosen Stunden online immer noch allein zu Haus sind. Also knien wir nieder vor dem allmächtigen Internet und der Macht, die es mit sich bringt, Menschen irgendwie doch nicht zusammenzuführen. Aber auch diese Ära neigt sich dem Ende. Der Befreiungsschlag aus dem Komata ist da!

Die schwule Maske

Wir schreiben das Jahr 2011! Ich halte es in meinen Händen, mein Smartphone. Mit einer ganz neuen App namens „grindr“, ich nenne sie auch die schwule Maske, kann man sich lustig per UMTS orten lassen und alle anderen dort angemeldeten Personen, allesamt schwul oder bi werden einem angezeigt. Mit Bild, Entfernung zum eigenen Standort und einigen Eckdaten zur Person kommen wir wieder dahin zurück, wo wir schon mal waren. Nein nicht in den Hinterhof, aber unter Menschen. Ich bewege mich mit offenen Antennen durch die Stadt und schaue, wen ich so bei „grindr“ antreffen und sogar real sehen kann. Jetzt stelle ich mir natürlich die Frage, was als nächstes kommt?

Bis dahin nehme ich mein Telefon und rufe mir per Taxi-App eine Fahrgelegenheit, um meinesgleichen dort zu treffen, wo es eh am coolsten ist. Nein, immer noch nicht nackt im Hinterhof, aber im BOYS´n`BEATS. Dort werde ich auch nicht in Lederklamotten auftauchen sondern im auffälligsten Dress, das ich besitze. Denn dort findet am 5. November die „Gay & Glitter“-Party statt. Und wenn ich schon mal da bin, schaue ich gleich mal, wen ich dort so orten kann, um dann vielleicht zusammen in eine gemeinsame Zukunft zu starten.

Euer Micha

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